Unsere Alicia schon 16

Schon manchmal gespenstisch, wie die Zeit fliegt: die „Älteste“ unserer Kindergruppe (Kinder?) in Candelaria, unsere Alicia, ist heute (22.7.2018) 16 Jahre alt geworden. Sie hat ein besonderes Talent dafür, klassische bolivianische Kleidung und Modernes hübsch zu kombinieren. Und ihre erste Liebe auch schon hinter sich. Es ist pure Wonne, sie aufwachsen und AUFBLÜHEN zu sehen

Gehirngerecht lernen – mit FREUDE

Nicht nur in Bolivien ist das „Beibringen“ zu oft ein quälend langweiliger, hochzeigefingriger Gouvernantenprozeß. Gerade Jugendliche wollen garantiert nicht unbedingt wissen, wie man ein Hotelzimmer bucht, die Kohle haben sie eh noch lange nicht. Deutsch lernen ist ja nun nicht so einfach, schlimmer ist nur Finnisch oder Romulanisch im vulkanischen Dialekt der Föderationsabgeordneten. Wenn aber eine junge bolivianische Frau gerne mit einem ihr interessant erscheinenden jungen deutschen Mann in Kontakt treten möchte, dann geht´s aber vorwärts mit der Sprache. Das muß berücksichtigt werden. Gehirngerechtes Lernen ist unverzichtbar. Und da darf auch mal „Scheiße“ gesagt werden. Was übrigens schon fast im Hannoveraner Hochdeutsch herauskommt. „Ich muß die Nase meiner Ollen an jeder Grenze neu verzollen“ auch schon ganz gut. „Das Leben des Brian“ (Monty Pythons sei Dank), auf spanisch 10 Mal gesehen und durchgelacht, wird mit Augen und Ohren auf deutsch aufgesaugt.

Kniffel mit deutschen Schreibblocks spielen. Völlig wurscht, ob die Kinder erstmal „Draiapass“ (Dreierpasch) sagen. Nörgeln verboten. Sie sagen es mit Wonne. Spielen mit Freude. So geht das rein – und das ist ALLES, was zählt

Bettelkind der Straße

In den Restaurants am Prachtboulevard „Prado“ ist auch das Realität: die Bettelkinder. Wie dieses kleine Mädchen kommen sie mit einer Plastiktasse (das war mal eine Verpackung für billige Margarine) und bitten, meist still, ohne Geplärre, um eine kleine Münze.

Jetzt gibt es ja diese ganz tollen Ratschläge.
„Gib ihnen nichts, die sollen nicht das Betteln lernen, sondern zur Schule gehen“.
Und wovon?
„Die müssen das Geld den Eltern abliefern, und die versaufen das dann.“
Welche Eltern?
„Die machen das nur als Verarsche. Haben eine 10-Familien-Haus, aber betteln, weil das eben einfacher ist.“
Klar. Ist ja auch so erotisch, wie der letzte Dreck behandelt oder gleich übersehen zu werden. Nichts einleuchtender, als so vorgehen zu wollen. Und von den paar erbettelten Pfennigen kaufen sie dann goldene Türklinken für ihr Riesenhaus, wohin sonst mit dem Überfluß.

Und auch kein Wunder, dass solche „Weisheiten“ regelmäßig von Leuten kommen, die sozusagen gerade das Nachbargrundstück aufgekauft haben, weil die Garage für Wohnmobil, drei Limousinen, zwei Motorräder und das Boot ja irgendwohin muß. Sind regelmäßig die Richtigen für Belehrungen über das Leben in Armut, den Zeigefinger dabei höher als der Vulkan Tunari hier nebenan.

Richtig ist: die Kleine hasst, was sie tut. Ja, wenn sie Geld bekommt, bringt sie das zu ihrer großen Schwester (die Eltern sind mal wieder sonstwo). Die Geschwister kaufen dann auf dem billigsten Markt am Stadtrand ein, die Kleine darf mitentscheiden, was, und dann kochen sie das in dem einzigen Topf aus Aluminium, den sie haben. Sie lachen dann, und erzählen sich Witze. Die Kleine ist 5, nächstes Jahr möchte sie zur Schule, ihre Schwester hat ihr versprochen, dass das was wird.
Sie heißt Nayra. Ja, sie haben einen Namen.

Habe ihr reichlich Geld in die kleine Tasse getan. Also, nach bolivianischen Verhältnissen. Etwa 4 EURO umgerechnet. Dann ginge sie jetzt nach Hause, sagte Nayra, mehr ginge nicht. Vielleicht gäbe es ja heute sogar nicht nur Kartoffeln oder Mais. Mit so viel Geld könne man ja auch mal an eine kleinen Fisch denken oder so. Sie war sehr fröhlich. Natürlich dürfe ich ein Foto von ihr machen.

Und?

Beschwerden und Belehrungen über den Umgang mit armen Kindern nimmt meine Notarin in Braunschweig gern entgegen, bitte in fünffacher Ausfertigung.
Sie hat einen guten Schredder.

Wassergewinnung in Candelaria / Corani

Nach ODESUR waren wir mal oben an der Nordspitze der Lagune Corani. Da hat man eine mehrere hundert Meter lange Staumauer gebaut, um
a) Wasserflächen für die Sportfestspiele zu gewinnen, dort fand Segeln und Rudern statt,
b) Zuchtflächen für Forellen zu gewinnen, um die Naturbestände in Ruhe zu lassen und trotzdem Lebensmittel für die ärmere Bevölkerung zu haben,
c) das sinnlose Absickern von wertvollem Wasser in den Andenfelsen zu verhindern, man hat geregelte Kanalisation gebaut, die das Wasser auf die oberen Felder mit Humus leiten und dann rechts und links fruchtend in das Naturschutzgebiet ablaufen,
d) dadurch werden Stromturbinen betrieben, die Candelaria und andere komplett mit „Wasserstrom“ versorgen.

Von rechts: Rosemary, Tatiana (beide sind ziemlich dicke Freundinnen geworden) und Bella mit dem Rücken zum alten, natürlichen Nordende der Lagune Corani

Im Rücken der Gruppe: die gewonnene Wasserfläche

Picknick am ältesten Bauteil. Bekrickelt wie in aller Welt. Na gut..

ODESUR Sportfestspiele und Flughafen mit den Kindern

Einfach mal reinhören. Ein wunderbar gelungener Gute-Laune-Freifühl-Kracher, mit authentischen andinen Klängen und internationaler Herzlichkeit. Wir trällern den hier seit Wochen vor uns hin.
„Bienvenido a mi llajta!“ (llajta = Quechua = Stadt)
Das Lied heißt „Un mismo sentir“ – ein gemeinsames Gefühl. Passt

„Rumbo Cochabamba“ – Kurs auf Cochabamba. Auto knackevoll, stört die Kinder nicht im Geringsten. Zimperlich sind sie ja eh nicht

Highlight 1: Besuch des internationalen Flughafens und eines Hangares mit einmotorigen Maschinen. Nicht wenige der Kinder sagten, das sei die größte Traumerfüllung ihres bisherigen Lebens gewesen. Fotos ab jetzt übrigens auch von Sandra, die wir demokratisch zu unserer Fotodokumentatorin gemacht haben, was sie begeistert annahm – genauso wie die Kamera von Anabel und Fabian, die sie zu diesem Zwecke hierließen… daaaanke! Erst erklärte ich den Linienflugverkehr von der Plattform aus, denn immerhin möchte ja Rosemary Stewardess werden, weswegen ich sie dauernd mit Englisch nerve. Und Nayeli möchte Ingenieurin in der Benzin-/ Kerosinversorgung werden (beide Damen im untersten Flieger-Foto)

Dann saßen alle mal im Pilotensitz im Hangar, und ich erklärte ihnen ein bißchen die Instrumente.
„Und ich dachte schon, Dein Auto sei was Kompliziertes…“

Highlight 2: ODESUR Südamerikanische Sportfestspiele. Hier das Gruppen-Länderspiel der Herren Bolivien – Argentinien. Resultat 1:1. Gab´s schon schlimmer. Argentinien macht mir KEINE Sorgen für die WM

Damenriege mit Kamera und Handys, wie in aller Welt. Sandra hat die Arbeit aufgenommen. Unsere Kleinsten, Lesli und Yasmin, sorgen für den Nationalstolz

Hockey – Viertelfinale der Damen. Leider verlor Bolivien 0:6 gegen Chile. Paraguay und Uruguay schenkten sich nichts. Am Ende 0:2

„Zu Null? Können die da nicht ma wenigstens einen reinmachen??“  Man sieht, so ein bißchen Regen hält uns nicht auf. Meine Kinder sind nicht aus Zucker. Und Sandra arbeitet konzentriert in der neuen Aufgabe

Faszinierend: Bogenschießen. Insbesondere die Kolumbianerinnen trafen auf 100 Meter eine Fliege in den Allerwertesten. Unglaublich

Alles an verfügbarem Bettmaterial in das kaum beschädigte Zimmer geschoben, den Rest machen die Mädchen schon, da gibt es keine Anstellereien. Lachen bis in die Nacht erschall aus der Kemenate…

Abenteuer der Jungs: im Garten zelten. Fanden sie auch klasse. Wir hatten ja das Hofzimmer im Regen verloren (siehe Februar 2018), dann eben so

Den Bogen, wie man Kinder mit flottem Essen bei Laune hält, habe ich nach all den Jahren auch raus

So sehe ich mein Haus am liebsten. Krachend vor Kindern und guter Laune. Ob´s die Wände aushalten … deren Problem

Kinnlade fällt runter Teil 2

Und so sahen meine Ziehtöchter dann an jenem Sportball-Abend aus. Gestern haben sie mir das Foto geschickt.
Es soll zu schwereren Unfällen gekommen sein, als sich hinterherlaufende Jungs auf die eigene Zunge gelatscht haben.
Nicht mein Problem, bin kein Arzt (was denn auch noch alles..)

Himmel, wenn ich noch denke, was das für verhungerte Spargelchen waren, die den Mund nicht aufbekommen haben vor Scham und Schüchternheit. Jetzt sagt Alicia zum Polizisten am Stadioneingang: „Könnten Sie bitte mal beiseite treten, möchte mit meinen Freunden zum Länderspiel Bolivien Argentinien eintreten.“

Und der TRITT beiseite!!

So viel können wir hier nicht falsch gemacht haben

Ausnahmezustand Odesur

[:de]Das wird die nächsten drei Wochen unsere Realität hier sein. Die Mädchen werden (einschließlich Samstag und Sonntag) nicht mehr einmal am Tag am Tisch zusammenkommen, wie es sonst üblich ist (auch gerade für Kommunikation und Abstimmung der Aktivitäten). Es wird in Schichten und Etappen gegessen. Alle sind mit ihrer Voluntärsuniform für die südamerikanischen Sportfestspiele bekleidet. Dann geht es – husch – wieder zum Einsatzort. Manche Sportlerhotels liegen so weit draußen, dass die Mädchen da zuweilen auch die Nacht verbringen, wie sie sagen in schlichten, aber schönen nagelneuen Zimmern mit Bad. Also auch in Ordnung. Hier unser WOK, mit Reis Chop Suey. So etwas lässt sich eben einfach schnell wieder auf die Flamme stellen, und schon essen die nächsten..

Noemi wieder am alten Platz

Noemi´s „Laden läuft.“ Da meine Mädchen dringend ihre Freiwilligen – Uniformhosen für die Südamerikanischen Sportfestspiele (wir machen da alle irgendwie als freiwillige Helfer mit) gekürzt bekommen mussten, kam sie zum Mittagessen (übrigens Tortellini mit Schinken-Sahnesoße, hausgemachte Guacamole und Salat von Rocío aus Candelaria mit frischgepresstem Pfirsich – Fruchtsaft) vorbei und bediente wieder ihre „alte“ Lern-Nähmaschine.
Dabei erzählte sie, dass sie noch einen Ausbilderkurs machen möchte und dann teils ihre Werkstatt betreiben, teils Unterricht geben wird. Glänzende Idee. Vermutlich werden wir da als Start-Up-Helfer auftreten…
Denn das ist genau unser oberstes Ziel hier: Unabhängigkeit schaffen